
Auswertung der Befragung von 67 Frauen und ihre Rollen
Die Entwicklungsphase einer Frau:
Ich hatte eine kluge Mutter, die sagte: „Ohne Berufsabschluss wirst du die Wohnung nicht verlassen.“
Die Vorbereitung auf das geschlechtsspezifische Leben gehört zur religiösen Erziehung im Islam, die in der Religion verankert ist.
Dabei wird dem Mädchen früh vermittelt, dass ihr Lebenssinn im Dienst an der Familie liegt und sie sich diesem Ideal bedingungslos unterzuordnen hat.
Ich habe von Februar 2000 bis April 2004 67 Frauen befragt, die in der Türkei ihre Sozialisation erfahren hatten und in den 1970er Jahren nach Deutschland gekommen waren. Die Frauen waren zum Zeitpunkt der Befragung im Alter von 43 bis 68 Jahren. Meine Befragung hat ergeben, dass die Frau sehr oft als Mädchen und als „Braut“ um ihr Selbstbewusstsein beraubt wird.
Die Befragten beschrieben diese Phase häufig als besonders prägend, weil sie mit dem abrupten Übergang von der Kindheit zur Verantwortung der Ehefrau und Mutter verbunden war.
Viele unserer Patientinnen haben durch ihre Erziehung kein starkes Selbstbewusstsein und nur ein geringes Selbstwertgefühl. Schon in jungen Jahren entwickelten sie durch die Unterdrückung Symptome, die auf psychische Krankheiten hinweisen, zum Beispiel: Antriebslosigkeit, diverse Ängste, Aggressivität, Depression, Verstummen der Sprache, Überlastung, paranoides Denken (sie fühlen sich permanent unter Beobachtung) oder üben überhöhte Selbstkritik.
Diese psychischen Symptome spiegeln eine tiefe innere Zerrissenheit wider, da die Erwartungen der Familie und Gesellschaft oft im direkten Widerspruch zu den eigenen Bedürfnissen und Wünschen standen.
Islamische Apologeten (Verteidiger) haben stets hervorgehoben, dass die Frau im Islam rechtlich und in religiöser Hinsicht vor Gott mit dem Mann gleichgestellt sei und dass Gewalt gegenüber der Ehefrau im Koran nicht existiere: Wenn es zur Gewalt unter Berufung auf den Koran komme, dann sei das eindeutig eine Fehlinterpretation. Andere Koraninterpreten dagegen vertreten die Auffassung, dass der Koran das Recht auf Gehorsam der Frau gegenüber dem Mann, wenn nötig mittels Gewalt gegenüber der Ehefrau durchzusetzen, ausdrücklich formuliert.
Diese gegensätzlichen Interpretationen sorgen bis heute für Unsicherheit bei vielen Frauen, die zwischen religiösem Gehorsam und individuellen Rechten hin- und hergerissen sind.
Ich habe vom Februar 2000 bis zum April 2004 insgesamt 67 Frauen befragt, die in der Türkei ihre Sozialisation erfahren hatten und in den 1970er Jahren nach Deutschland gekommen sind.
Die Frauen waren zum Zeitpunkt der Befragung im Alter von 43 bis 68 Jahren. Die von mir befragten Frauen wurden von meinem Pflegedienst Deta-Med gepflegt und waren nicht in der Lage, ohne fremde Hilfe ihren Alltag zu bewältigen. Es waren relativ junge Frauen mit überwiegend psychischen Erkrankungen, aber auch extremen körperlichen Verschleißerscheinungen. Ursache der körperlichen Beschwerden waren auch die schweren Arbeitsbedingungen in Deutschland. Ich gehe davon aus, dass die schlechte gesundheitliche Lage der Frauen auch im Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen Erziehung und der Tradition, aus der sie ursprünglich stammten, steht. Die Hauptursache für diese psychischen Erkrankungen liegt meines Erachtens nach in der Erfahrung der Machtlosigkeit und der Geringschätzung der Frau in diesem Kulturkreis. Ich habe die Biographien unserer Patientinnen zusammengefasst und werde meine These in kurzen Abschnitten erläutern.
Besonders auffällig war, dass viele Frauen trotz jahrelanger Arbeit und Aufopferung keinerlei gesellschaftliche Anerkennung oder Unterstützung erfahren hatten.
Die „Frauen“ wurden in jungen Jahren (ca. ab 6 Jahren) extrem geschlechtsspezifisch erzogen.
Sie mussten ihre Mütter als Vorbild nehmen und den gesamten Haushalt mit ihnen führen. Sie wurden von klein an dazu angehalten, im Haushalt mitzuhelfen und auf kleinere Geschwister aufzupassen. Die Fürsorge für jüngere Geschwister und pflegebedürftige Familienangehörige war als Vorbereitung auf die spätere Mutterrolle ein wichtiges Aufgabenfeld. Sie mussten sich nützlich machen, um so früh wie möglich die späteren Aufgaben als Hausfrau und Mutter zu erlernen. Im Kindesalter mussten sie anfangen, ihre Mitgift (CEYIZ) vorzubereiten und zu sammeln. Ihnen wurde sehr früh beigebracht, dass sie als Mädchen, Braut und Mutter in der Familienhierarchie an der untersten Stelle stehen. Erst wenn sie selbst Schwiegermutter sind, gelangen sie zu einer gewissen Anerkennung. Diese ist bedingt durch ihr Alter und ihre Erfahrung im Leben.
Viele Frauen beschrieben diesen frühen Rollenwechsel als eine „unsichtbare Kette“, die sie ihr Leben lang begleitet habe.
Die „Frauen“ wurden zwischen 13 und 17 Jahren verheiratet und bekamen auch in diesem Alter ihre ersten Kinder. Kinder sind für den Bestand der Ehe sehr wichtig und gelten als Zeichen einer guten Ehe. Außerdem spielen die Kinder eine große Rolle für den Unterhalt der Familie und in der Altersversorgung. Jungen tragen zum Familieneinkommen bei und Mädchen zur Entlastung der Mutter im Haushalt. Im Alter ist es die Pflicht der Söhne, für die Eltern zu sorgen. Erst im Alter hatten die Frauen eine Autoritätsstellung erlangt, weil sie nicht mehr als Verführerin (wie eine junge Frau) galten.
Die frühe Mutterschaft bedeutete für viele das abrupte Ende ihrer Jugend, verbunden mit enormer Verantwortung und kaum Raum für persönliche Entwicklung.
In der Tradition obliegt es den älteren Frauen, als Hüterinnen der Tradition den Jungen und Mädchen die Regeln des gesellschaftlich angemessenen Verhaltens weiterzugeben, damit sie diese Regeln beachten und beibehalten: Die Rolle der älteren Frau ist wichtig für den Fortbestand der Sitten, weil sie die Autorität der Männer an die junge Generation vermittelt.
Diese Rolle wurde häufig ambivalent erlebt – einerseits als Befreiung aus der Unterdrückung, andererseits als Weitergabe eben jener unterdrückenden Strukturen.
Die Ursache einer Kinderlosigkeit wurde der Frau angelastet, sie erlebte im Fall der Kinderlosigkeit einen enormen Druck von der engeren Familie und weiteren Verwandtschaft. Die verzweifelten Frauen haben sich Hilfe gesucht bei einer Wunderheilerin und deren magischen Praktiken, sie haben Wallfahrten zu heiligen Grabstätten gemacht, um dort Fruchtbarkeit zu erlangen, haben Gelübde geleistet und ein Tier geopfert. Wenn die Frau unfruchtbar bliebe, so hätte der Ehemann das Recht auf eine zweite Frau.
In dieser Situation erfuhren viele Frauen eine tiefe Entwertung ihrer Identität, die sich fast ausschließlich über Mutterschaft definierte.
Die Geburt eines Jungen verbessert die Stellung und das Ansehen der Frauen in der Familie ihres Mannes, insbesondere dann, wenn sie dort mit ihrem Ehemann lebt, wie es die Tradition vorschreibt. Nach der Geburt einer Tochter wurden sie zum Teil gleichgültig behandelt. Bis dahin hatten sie durch die eigene Herkunftsfamilie bereits Unterdrückung und Gewalt erlebt.
Von Gewalt spreche ich im Sinne einer züchtigenden Erziehung, die darauf abzielt, dem Mädchen beizubringen, nicht zu widersprechen. Es wäre eine Schande für die Familie, wenn sie als Braut ausgestoßen würde und wieder in das Elternhaus zurückkehren müsste. Eine Schulbildung wurde den Frauen in vielen Fällen verweigert, weil die Eltern arm waren oder weil die Mädchen gemeinsam mit Jungen in einem Klassenraum hätten sitzen müssen. Außerdem sollten sie ohnehin verheiratet werden, somit wäre das Schulgeld als Fehlinvestition betrachtet worden. Je qualifizierter das Mädchen hingegen im Haushalt ist, umso mehr „Kopfgeld“ (BASLIK) würde der Vater für sie bekommen.
Bildung galt nicht als Investition in die Selbstständigkeit, sondern als Bedrohung für die „Ehre“ und Heiratsfähigkeit der Tochter.
Angeblich steht im Koran, dass die Frau zum Sex bereit zu sein habe, egal, in welcher Lage sie ist, ob sie Teig knetet oder auf dem Kamel sitzt. Wenn der Mann Sex will, muss sie bereit sein, darf sich dem Ehemann nicht verweigern. Wenn sie sich verweigert, dann macht sie sich sündig vor Gott. Der Mann hat dann das Recht auf eine andere Frau.
Vergewaltigung in der Ehe gibt es nicht, glaubten unsere Patientinnen. Sie haben sehr oft gegen ihren Willen mit ihren Männern geschlafen, um des Friedens willen und weil es ihre Pflicht als Ehefrau gewesen sei. Es kam auch vor, dass der Mann gewalttätig wurde, wenn die Frau keine Lust auf Sex hatte, so dass sie unter Gewalteinfluss sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen musste. Der überwiegende Teil meiner befragten Patientinnen gibt trotzdem an, dass eine Frau nur von einem fremden Mann vergewaltigt werden kann.
Diese Sichtweise zeigt, wie tief die internalisierten patriarchalen Vorstellungen über Sexualität und Ehe verankert sind.
Viele unserer Patientinnen hatten Unterleibsprobleme und Schmerzen beim Sex. 65 % unserer Patientinnen wurden von ihren Ehemännern betrogen. Was mich sehr verwundert hat, war die Tatsache, dass die betrogenen Frauen dies als selbstverständlich angesehen haben, weil sie nicht regelmäßig mit ihren Männern Sex hatten. Einige Frauen sagten: „Ich bin die bessere Frau gewesen, bei mir ist er geblieben, die andere Frau hat er nur für seine sexuellen Triebe benutzt“.
Diese Haltung weist auf ein tief verwurzeltes Selbstverständnis hin, in dem eheliche Treue nicht als wechselseitige Verpflichtung, sondern als männliches Vorrecht gilt.
Die Frau wird als Mädchen und als „Braut“ ihres Selbstbewusstseins beraubt. Viele unserer Patientinnen haben durch ihre Erziehung kein starkes Selbstbewusstsein. Schon in jungen Jahren entwickelten sie Symptome, die auf psychische Krankheiten hinweisen. Zum Beispiel: Antriebslosigkeit, diverse Ängste, Aggressivität, Depression, Verstummen der Sprache, Überlastung, paranoides Denken (sie fühlen sich permanent unter Beobachtung), sie üben überhöhte Selbstkritik.
Zurückliegende physische und psychische Gewalterfahrungen sind oft so stark belastend, dass die betroffenen Frauen ohne fremde Hilfe ihr Leben nicht bewältigen können. Viele unserer Patientinnen leiden heute noch an den Folgen der erlebten Gewalt wie zum Beispiel an einer psychischen Krankheit, einem geplatzten Trommelfeld, herausgeschlagenen Zähnen, Verbrennungsnarben, Verkrüppelung der Extremitäten und diversen organischen Störungen.
Viele dieser Frauen schweigen bis heute aus Scham über ihre Erfahrungen, was die notwendige therapeutische Bearbeitung zusätzlich erschwert.
Bitte verallgemeinern Sie die Ergebnisse dieser Befragung nicht auf alle muslimischen Frauen, da sich die Befragung lediglich an betroffene Patientinnen von Deta-Med richtete.
Die Ergebnisse sollen jedoch auf strukturelle Zusammenhänge hinweisen, die bei ähnlicher Sozialisation auch in anderen Lebenskontexten vorkommen können.
Die Auswertung der Befragung von 67 Frauen zeigt, dass viele von ihnen schon als Mädchen und Bräute durch traditionelle Rollenzuweisungen, frühe Heirat, fehlende Bildung und häusliche Gewalt massiv in ihrem Selbstbewusstsein eingeschränkt wurden. Diese Erfahrungen führten häufig zu psychischen Erkrankungen, körperlichen Leiden und einem geringen Selbstwertgefühl – Folgen, die viele bis ins hohe Alter belasteten.
Ich bin Nare Yesilyurt, Geschäftsführerin von Deta-Med – wir stehen für kulturspezifische Pflege und Integration in Berlin.familienfreundliche Arbeitsmodelle.