
In diesem Abschnitt möchte ich die Erfahrungen als „BRAUT“, über die die von mir befragten 67 Frauen berichten, zusammenfassen.
„Die „Braut“ musste in der Großfamilie ihres Mannes leben und sich allen Familienmitgliedern unterordnen und ihnen dienen. Sie kochte für alle Familienmitglieder und war in der familiären Hierarchie am weitesten untergeordnet.
Zuerst essen die Familienoberhäupter, dann die anderen Familienmitglieder, ganz zuletzt darf die „Braut“ (GELIN) etwas von dem von ihr zubereiteten Essen zu sich nehmen – wenn etwas übrig geblieben ist. Es war keine Seltenheit, dass die „Braut“ hungrig ins Bett ging. Viele meiner Patientinnen berichten, dass sie beim Kochen heimlich gegessen und Lebensmittel für sich versteckt hatten. Wurden sie dabei erwischt, drohte ihnen Gewalt.
Es gibt einen sehr penetranten Spruch: „Kann eine Frau ihren Wunsch nach Essen nicht unter Kontrolle halten, dann kann sie auch ihre sexuellen Triebe nicht halten“. Sinngemäß heißt das, dass die Frau, die das Bedürfnis nach Essen verspürt und diesem natürlichen Bedürfnis nachkommt, auch ihren sexuellen Trieben nachgehen könnte und den Ehemann betrügen würde.
Nach Einschätzung vieler Betroffener und mir war die „Braut“ eine billige Arbeitskraft, fast wie eine Sklavin. Unter dem Vorwand von Tradition und Kultur wurde diese Rolle gerechtfertigt und verschleiert.
Die Fastenzeit und das Verhungern der Braut. Durchgängiges Fasten während des Ramadan (Fastenmonat) wird durch die Menstruation abgebrochen. Während der Menstruation und im Wochenbett dürfen Frauen nicht beten, den Koran nicht berühren und auch nicht die Schwelle einer Moschee betreten. Die Fastentage mussten die Frauen allein – außerhalb des Fastenmonats – nachholen, in dieser Zeit wurde keinerlei Rücksicht auf sie und ihre Bedürfnisse genommen. Die Frauen mussten täglich auf dem Feld arbeiten, zuhause für die Großfamilie kochen und Gäste bewirten. Dieses führte zu einer hohen körperliche Belastung und einer damit verbundenen gesundheitlichen Gefährdung. Einige der Frauen verloren das Bewusstsein vor Hunger, weil sie als letztes Glied der Familienhierarchie etwas zum Essen bekamen.
Die „Braut“ muss morgens als erste in der Familie aufstehen und darf erst als letzte ins Bett gehen. Sie muss den ganzen Tag im Haushalt und auf dem Feld arbeiten und sich um die Kinder und Kranken in der Familie kümmern. Wenn sie sich gegen ihre Ausbeutung und Unterdrückung wehrt, dann droht ihr Gewalt von der Schwiegermutter, dem Schwiegervater, Schwager, Ehemann oder der Schwägerin.
In vielen Fällen waren die Ehemänner hilflose Zuschauer der Gewalt an der „Braut“, sie dürfen nicht eingreifen oder Partei ergreifen für ihre Frauen. Wenn ein Mann dies dennoch tat, dann drohte ihm selbst auch Gewalt vom Familienoberhaupt, weil er angeblich das „unzüchtige“ Verhalten seiner Frau unterstützen würde.
Die „Braut“ darf keine direkte Kommunikation mit ihren Schwiegereltern, ihrem Schwager und Gästen pflegen.Wenn Verwandte zu Besuch kommen, dann darf sie nur bedienen, aber nicht kommunizieren. Eine Kommunikation mit dem Familienoberhaupt verlief nur über zweite oder dritte Personen; überwiegend waren es dann die Kinder, die als Sprachrohr dienten. Alle haben das Recht, die Braut anzusprechen und ihr Anweisungen zu geben, aber die Braut darf nicht antworten oder gar widersprechen.
Wenn die Frau „Braut“ sich gegen ihre Unterdrückung wehrt und Widerstand leistet, droht ihr nicht nur Gewalt, sondern auch die Bedrohung mit Mord. Aber die schlimmste Strafe ist, dass sie zurück zu ihrem Elternhaus geschickt wird.
Wenn sie Kinder hat, darf sie sie nicht mitnehmen, weil sie die Kinder nicht aus dem Elternhaus mitgebracht hat. Kinder sind das Eigentum der Großfamilie. Die Ausstoßung von den Schwiegereltern bedeutet für die Eltern der „Braut“ eine große Schande. In den meisten Fällen wurden bei unseren Patienten betroffene Frauen durch die eigenen Eltern wieder zu den Schwiegereltern zurückgebracht. Sie bitten die Familie um Vergebung und entschuldigen sich für das Verhalten ihrer Tochter. Die „Braut“ küsst die Hände – in manchen Fällen auch die Füße – der Familienoberhäupter und bittet sie um Vergebung und Wiederaufnahme in die Familie.
Sollte die „Braut“ nicht wieder aufgenommen werden, droht ihr auch eine Ausstoßung aus eigener Familie. Dieses führt zu vollständiger sozialer Isolation. Es darf dann niemand mit ihr sprechen oder Kontakt zu ihr haben. Viele unserer Patienten berichteten, dass viele „Bräute“ in einer solchen Situation Selbstmord begangen haben. Oder betroffene Frauen wurden wieder mit Männern aus dem Dorf verheiratet, die viel älter als sie selbst waren, oder sie wurden als zweite Ehefrau aufgenommen. Sexuelle Belästigungen und die Vergewaltigung solcher ausgestoßener Frauen waren keine Seltenheit.
Die Frau wird als Mädchen und als „Braut“ ihres Selbstbewusstseins beraubt. Viele unsere Patientinnen haben durch ihre Erziehung kein starkes Selbstbewusstsein ausprägen können. Schon in jungen Jahren entwickelten sie Symptome, die auf psychische Krankheiten hinweisen. Zum Beispiel: Antriebslosigkeit, diverse Ängste, Aggressivität, Depression, Verstummen der Sprache, Überlastung, paranoides Denken (fühlen sich permanent unter Beobachtung), überhöhte Selbstkritik. Diese Symptome sind Hinweise auf psychische Belastungen durch Unterdrückung und Isolation.
Frühe Rollenprägung bei Mädchen In vielen islamisch geprägten Regionen werden Mädchen früh auf die Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet. Diese Erziehung ist wichtiger als Schulbildung. Schon vor der Pubertät übernehmen sie viele Pflichten im Haushalt.
Mit Beginn der Regelblutung gelten Mädchen – vor allem auf dem Land – als heiratsfähig. Ab dann stehen sie unter besonderer Beobachtung. Denn die Familie achtet streng auf die Jungfräulichkeit bis zur Ehe. Mädchen lernen früh, männlichen Familienmitgliedern zu gehorchen.
Hinweis zur Einordnung Die hier geschilderten Erfahrungen gelten nicht für alle muslimischen Frauen. Die Aussagen stammen aus einer Befragung von betroffenen Patientinnen der Einrichtung Deta-Med.
01.06.2011 Überarbeitet Nare Yesilyurt
Viele der befragten Frauen berichten, dass sie als „Braut“ in der Großfamilie ihres Mannes stark untergeordnet waren, harte Arbeit leisten mussten, oft Hunger litten und bei Widerstand Gewalt oder sogar Ausstoßung erfuhren. Diese Unterdrückung führte nicht selten zu sozialer Isolation, psychischen Erkrankungen oder gar Selbstmord – ein Hinweis darauf, wie tief traditionelle Rollenbilder das Leben und Selbstbewusstsein dieser Frauen prägten.
Ich bin Nare Yesilyurt, Geschäftsführerin von Deta-Med – wir stehen für kulturspezifische Pflege und Integration in Berlin.familienfreundliche Arbeitsmodelle.